Ermahnungen

Heute muss ich mich ausnahmsweise mal ein wenig aufregen. Ich las gerade einen Artikel von „Elternwissen.com – Ihr kompetenter Eltern-Ratgeber rund im Kindergesundheit, lernen, Schule und Freizeit“.

Dort wurde von einer Dipl. Pädagogin die sogenannte „1-2-3 Methode“ vorgestellt. Sie besagt, dass man bis drei zählen, also drei Ermahnungen aussprechen soll, wenn das Kind etwas tut, was es aus Sicht des Erwachsenen nicht tun soll. Zudem rät der Beitrag zu entsprechenden Konsequenzen, wenn das Kind trotz wunderbaren Zählens keine Reaktion zeigt. Diese Konsequenzen können sein: Einschränkung des Fernsehkonsums, Telefonverbot, Computerverbot, bestimmte Aufgaben im Haushalt erledigen, kein Nachtisch.

Sind wir jetzt wieder im Mittelalter angekommen???

Ich erzähle mal etwas aus der Praxis, was hier mit Sicherheit der ein oder andere bestätigen kann: Die wunderbare 1-2-3 Methode gab es schon vor 30 Jahren. Und was sehen wir, wenn eine Mutter diese bei einem sechsjährigen Jungen anwendet? Während er weiterhin mit einem Stock auf die Fensterscheibe hämmert, grinst er die Mutter hämisch an und wartet, bis sie brav bis drei gezählt hat. Daraufhin schaut er gespannt auf ihre Reaktion. Wie zu erwarten war, dreht sie durch, schnappt sich den Jungen und schimpft. Natürlich ist der Junge jetzt traurig, aber das war es wert, um zu testen, ob seine Erwartung erfüllt wird. Diese Methode ist prädestiniert für Machtkämpfe, wie wir sie mittlerweile in der Öffentlichkeit gewöhnt sind. Aber ich sag euch mal was: Machtkämpfe zwischen Eltern und Kind sind NICHT NORMAL!!! Sie werden als Normalität, als „das muss halt sein“ deklariert, aber das ist nicht wahr! Wer in Beziehung mit seinem Kind ist, der braucht diese nicht. In Afrika, Indien und allen nicht so ver“westlichten“, industrialisierten Ländern gibt es dieses Phänomen nicht.

Wenn meine Tochter am Esstisch anfängt, mit der Gabel wild auf den Glastisch zu schlagen, dann nehme ich die Gabel weg. SOFORT! Da gibt es keine Ermahnungen. Warum auch? Was sollen diese Ermahnungen meinem Kind sagen? „Denk nach, das macht man nicht!“? Ein Kind ist wie der Name schon sagt kein Erwachsener. Wir überfordern es, wenn es selbst auf den Grund für das Verbot kommen und sich ein anderes Verhalten ausdenken soll. Es ist auch völlig unnötig, dass es das Verbot sofort versteht. Erst einmal muss klargestellt werden, dass dieses Verhalten nicht erwünscht ist. Danach erkläre ich es dann und nenne verschiedene alternative Verhaltensweisen. Wenn ich bis drei zählen würde, bevor ich meine Tochter daran hindere, auf die Straße zu laufen, läge sie jetzt vermutlich im Krankenhaus. Es gibt für mich zwei Möglichkeiten: entweder das Verhalten meiner Tochter ist in Ordnung, nur widerstrebt es gerade meinen Plänen, dann gebe ich ihr für einen festgelegten Zeitraum die Möglichkeit dazu oder sage „ein letztes Mal noch“ oder aber das Verhalten bringt sie, einen anderen Menschen oder einen Gegenstand in Gefahr, dann gibt es weder Diskussion noch Zählen, noch Ermahnungen. Dann nehme ich den Gegenstand sofort weg oder bringe meine Tochter sofort aus der Gefahrenzone. Dabei werde ich nicht handgreiflich, sondern agiere einfach nur bestimmt, mit Ernsthaftigkeit und eindeutig wütender, aber nicht schreiender Stimme.

Aber es geht noch weiter in dem Artikel: In Tipp 2 geht es um die möglichen Konsequenzen. Es werden nicht nur die oben genannten Varianten von Verboten vorgeschlagen. Es gibt auch die Möglichkeit, sein Kind für eine kurze Zeit in einen vorher bestimmten Raum zu schicken. Pro Lebensjahr eine Minute. Das nennt sich „Auszeit“. Da kann das Kind dann über sein Verhalten nachdenken.

An dieser Stelle möchte ich gerne schreien. Oder weinen. Oder mich mit den Händen auf den Boden schlagend, schreiend und weinend auf den Teppich schmeißen.

Wer ein Mal die Diskussionen über die Sendung „Die Super Nanny“ verfolgt hat, stellt schnell fest, dass insbesondere die Methode der „Auszeit“ am stärksten kritisiert wird. Zu recht! Denn was passiert mit einem Kind, das einfach in ein Zimmer gesperrt oder auf die „Stille Treppe“ gesetzt wird? Es versteht die Welt nicht mehr. Das einzige, was es versteht, ist, dass seine Handlung „böse“ war und dass seine Mama es nun nicht mehr lieb hat. Wie es aber anders reagieren soll, weiß es nicht. Es fühlt sich hilflos, traurig, ausgeschlossen, ängstlich, verstört, unsicher und nicht geliebt. Ein Kind ist mindestens bis zum 10. Lebensjahr in vielen Situationen nicht in der Lage, sein Verhalten zu reflektieren und daraus sinnvolle Schlüsse und neue Verhaltensweisen zu ziehen. Weitere Informationen: Grenzen setzen sowie „Das macht man nicht.“.

Zu diesem Thema passt auch wie schon so oft der Artikel: Innere Größe sowie dessen Ergänzung. In der Kommunikation mit einem Kind geht es darum:

  1. Sich seiner erfahrungsbedingten Größe und Überlegenheit gegenüber dem Kind bewusst zu sein und
  2. aus diesem Gefühl der Größe zum Wohle des Kindes zu agieren.

Jede Gewalt, jedes „Wegsperren“ des Kindes ist Ausdruck der Verzweiflung der Erwachsenen. Denn diese Methoden kommen nur zum Einsatz, wenn wir nicht mehr weiter wissen, wenn wir als einzigen Ausweg unsere körperliche Überlegenheit sehen, um dem Kind zu zeigen, dass wir doch die Erwachsenen sind und es zu gehorchen hat. Dazu hier ein kleines Beispiel: Verzweifelte Mutter. Zudem lernt das Kind, dass es nicht geliebt wird, wenn es „böse“ ist. Das ist ja auch erst einmal die Intention der Mutter, um ihr Kind zu einem anderen Verhalten zu bringen. Doch es ist eine manipulative Methode und sie hat enormen negativen Einfluss auf die späteren Beziehungen im Leben des Kindes. Das Kind lernt: „Wenn du nicht artig bist, verlierst du die Liebe der dir wichtigen Personen.“ Letztlich der Person, die evolutionär betrachtet für das Überleben des Kindes verantwortlich ist, was noch immer tief in unseren Genen gespeichert ist. Das „Wegsperren“ ist für den Körper also mit „Ausgrenzung“ und somit dem „Tod“ gleichzusetzen, auch wenn das erst einmal hart klingt. Doch genau das sehen wir heutzutage bei vielen Jugendlichen und Erwachsenen: Wir klammern uns an Beziehungen, aus Angst, diese bei einem falschen Satz, einer falschen Handlung zu verlieren.

Bitte tappt nicht in die Ermahungs- und Bestrafungs-Falle. Bleibt in Beziehung zu euren Kindern, hört auf ihre Bedürfnisse, bleibt sensibel dafür, wenn eure mütterliche und väterliche Intuition gegen eine Methode spricht und bleibt gelassen!

Euer Kind ist nicht euer Feind, den man bestrafen muss. Es wünscht sich nur zu jedem Zeitpunkt eure Liebe, eure Zuwendung und eure Geborgenheit.

9 Gedanken zu „Ermahnungen

  1. Ungeheuerlich! Aber selbst das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ verkauft sich auch heute noch hervorragend. Leider sind es immer die einfachen Antworten, die gern und schnell Gehör finden. (Aber immerhin gibt es zu besagtem Buch inzwischen eine Petition an den Verlag, das vom Markt zu nehmen.)
    Wir schnuppern gerade die erste Trotzphasen-Luft, und die ist gewaltig. Na das kann ja heiter werden! Sehr gut, Dein Beispiel von den beiden unterschiedlichen Müttern im Hinterkopf zu haben, die ihren Kindern in der U-Bahn versuchen, einen Keks zu verweigern bzw. es auch schaffen.
    Was bei uns allerdings leider icht funktioniert, ist die Methode, mit der Ihr Euer Kind an den Kinderwagen gewöhnt habt. Da ist bei uns nichts zu machen, und man spürt deutlich, dass das nichts mit Trotz zu tun hat. Ich muss sagen, 11 Kilo sind schwer zu tragen, aber Gott sei Dank wird jetzt (mit 19 Monaten) das Laufen beliebter. Da hat man dann auch mal eine Tragepause zwischendurch.

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    • Gerade zum Thema Kinderwagen haben wir einige Anläufe gebraucht. Bevor wir sie so „einfach“ in den Kinderwagen setzen konnten, hatten wir ziemlich viel Abwehr. Ich habe den Kinderwagen dann ganz einfach wieder in den Keller verfrachtet und bin gelaufen/habe sie getragen. Nach einem Monat hat sie sich dann in der Kita ständig in die dort stehenden KiWas gesetzt. Also habe ich testweise den KiWa wieder hochgeholt. Auf einmal fand sie ihn dann interessant, allerdings auch nur 10 Minuten am Stück. Und dann kam es irgendwann zu besagter Situation, die ich in dem Beispiel beschrieben habe.
      Mittlerweile laufe ich aber wieder lieber mit ihr, weil sie gut zu Fuß ist und ich dann den KiWa nicht die Treppen rauf und runter tragen muss.

      Also, nicht verzweifeln!

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    • Vielen Dank! Ich habe eine gewisse Zeit als Betreuerin für Kinder mit AD(H)S, Asperger Autismus und Hochbegabung gearbeitet. In erster Linie will ich keine pauschale Aussage über Ursachen treffen, denn es ist ein komplexes Thema, und natürlich gibt es nicht die EINE Ursache.
      Ich werde heute oder in den nächsten Tagen eine ausführliche Antwort zu diesem Thema verfassen.
      Viele Grüße

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      • Hallo, danke fr die ausfhrliche Antwort. Ich habe schon vermutet, das es mit der Familie, im unbewusten, zu tun hat. Mein Mann hat auch ADS und sein Vater auch. Daher vermute ich, dass die Hauptursache aus der Familie stammt. Mein Mann macht schon eine Gesprechtstherapie, es ist sehr schwer fr ihn, das alles zu verstehen. Es ist nicht einfach mit ihm zusammen zu Leben, besonders seit wir Kinder haben. Er versteht das Verhalten unserer Tochter nicht, er toleriert ihre impulsivitt nicht, obwohl er genauso ist. In seiner Familie wird nicht so viel gesprochen. Daher ist es schwer, was die Ursache ist. Fr ihn und seinem Vater ist nur klar, das sie bestimmte Sachen nicht knnen oder damit berfordert sind und andere (Ehefrauen) fr sie diese Dinge erledigen mssen. Da gibt es kein wenn und kein aber! Es vielleicht doch mal selber zu versuchen. Unsere Tochter trgt eine tiefe Verletztheit in sich das habe ich schon festgestellt. Ich habe das Buch “ Auf der Suche nach dem verlorenen Glck“ vor ca. 7 Jahren gelesen. Es wurde mir von meiner Hebamme empfohlen. Sie sagte, das beste Buch ber Erziehung fr sie. Das finde ich auch. Wenn unsere Tochter so ausflippt bin ich immer verunsichert. Habe aber wohl instinktiv das Richtige gemacht, sie festgehalten und sie nicht gemaregelt. Wir haben danach in Ruhe dann ber die Situation gesprochen und alles war wieder gut. Sie bekommt keine Medikamente. Der Bericht hat mich beruhigt, das ich richtig liege mit meinem Bauchgefhl. Ich mu dazu sagen, dass ich 20 Jahre lang Schwimmunterricht mit Kindern gemacht habe, die in Gruppen auffallen. Da waren auch Kinder mit ADS dabei und Autisten. Mit dem eigenen Kind ist es aber doch noch etwas anderes, durch die Dauerbeschallung :-). Noch mal Danke. Liebe Grsse Cecilia Coskar

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