Jeden Tag mehr Bewusstheit

Schon bevor unsere Tochter geboren war, wusste ich, sie soll in unserem Bett schlafen. Ich hatte einiges über das „Familienbett“ gelesen und war davon begeistert. Erstmal fanden das auch alle toll, denen wir davon erzählten. Doch schon nach einigen Monaten kamen die ersten komischen Blicke. „Wie, eure Tochter schläft immer noch bei euch? Da wird sie ja nie selbstständig!“ Es folgten noch weitere Vorurteile, bis die meisten es einfach akzeptierten und wir nicht mehr viel darüber sprachen.

Ein sehr häufig angetroffenes Argument war: das Kind wolle dann sicher niemals aus dem elterlichen Bett ausziehen. Ich fand diese Aussage schon immer merkwürdig. Denn sie impliziert, dass ein Kind niemals erwachsen werden will.Das mag bei Peter Pan der Fall gewesen sein. Im normalen Leben trifft man solche Kinder aber eher selten an. Sicher ist es besonders schön für Kinder, bei den Eltern zu schlafen. Aber ebenso wie es als Kind toll ist, vom Vater auf dem Arm getragen zu werden, gibt es einen Moment in der Kindheit, ab dem das Kind selber laufen möchte, weil es selbstständig werden will und weil das einfach zum natürlichen Ablösungsprozess dazugehört.

Ab dem ersten Tag der Geburt sind wir Eltern nur noch die Wegbegleiter zur Selbstständigkeit. Jeden Tag löst sich unser Kind mehr von uns. Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Worauf es doch ankommt, ist, dem Kind nicht zu verweigern, was schön ist und was es in bestimmten Entwicklungsphasen braucht, sondern es ihm dann zu geben, wenn es wichtig ist und darauf zu vertrauen, dass der Zeitpunkt kommt, an dem das Kind selbst entscheidet, dass es nun genug davon hat.
Wir eifern nur nach dem, was uns besonders erbittert vorenthalten wird. Alles andere empfinden wir meist sehr schnell als selbstverständlich und suchen uns neue Herausforderungen. Ebenso ergeht es dem Kind, das die Welt entdecken will. Es kommt irgendwann an den Punkt, an dem es sagt: „Ich will nicht mehr bei euch schlafen. Mir ist das zu eng, zu warm, zu laut. Ich will jetzt mein eigenes Bett.“

Unsere Tochter ist nun 28 Monate alt. Vor einem Monat haben wir ihr ein Kinderbett gekauft. Ohne Gitter oder sonstige Einschränkungen. Sie fand es großartig und wollte sofort darin schlafen. Seitdem schläft sie in ihrem Bett. Zur Gewöhnung holen wir sie nachts noch zu uns, wenn sie wach wird, aber ich weiß, dass das nur eine Übergangsphase ist, in der sie lernt, dass sie auch nachts nicht allein ist. Wir hatten in diesen zwei Jahren nur eine einzige Nacht, in der sie lange schrie, weil sie Fieber hatte. Ansonsten brauchten wir sie weder in ihrem Zimmer im Bett weinen lassen noch „ihre Willen brechen“ oder ihr beibringen, dass ein Kind alleine zu schlafen hat. Wir hatten nie Schlafprobleme und wussten unsere Tochter immer in Sicherheit.

Natürlich stellt sich nun die Frage, warum wir sie jetzt in ein eigenes Bett umsiedeln, wenn es doch so schön war. Sie ist nun in einer Phase, in der sie jeden Tag mehr auf ihre Selbstständigkeit beharrt. Sie will sich alleine anziehen, sie will alleine Wasser einschenken, sie will alleine auf Toilette gehen. Das alles sind natürliche Entwicklungsschritte. Das eigene Bett ist ein weiterer Baustein, den sie freudig annahm und der an dieser Stelle auch wichtig für sie ist. Ebenso ist es mit dem Stillen. Auch ein Kind, das lange gestillt wird, will nicht bis es 20 Jahre alt ist, an der Brust der Mutter trinken. Unser Kind ist ja nicht ewig Säugling. Das vergessen viele bzw. man kann sich sein Kind meist nicht in einem älteren Zustand vorstellen. Der natürliche Drang nach Eigenständigkeit gibt vor, dass diese Trennung irgendwann aus eigener Entscheidung passiert. Und dann ist von heute auf morgen Schluss. Dann gibt es kein Gejammer, dann gibt es kein ewiges Hin und Her und auch keine Diskussionen oder belehrende Vorträge der Eltern. Dann will das Kind einfach nicht mehr.
Es gibt dafür keinen Kalender, der besagt, ab wann diese Impulse kommen. Das ist ganz individuell.

Sicher ist nur: Diese Entwicklung lässt sich durch nichts aufhalten, denn jeden Tag gewinnt das Kind mehr an Bewusstheit und damit verbundenem Wunsch nach Selbstständigkeit.

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