Brauchen Babys einen Schnuller?

Das erste Geschenk, das wir nach der Geburt unserer Tochter erhielten, war ein seltsam geformter Schnuller, den normalerweise nur Frühchen im Krankenhaus bekommen. Eine befreundete Krankenschwester hatte ihn extra für uns von der Arbeit mitgebracht, weil es diese nicht im Geschäft zu kaufen gibt. Er hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Brust und war nicht wie andere dem Gaumen entsprechend geformt. Unsere Tochter verweigerte ihn jedoch konsequent und ich hatte mir auch geschworen, keinen Schnuller zu verwenden.

Das Thema ließ mich jedoch nicht los. Ich las hin und wieder Berichte darüber, dass Kinder ohne Schnuller häufig den Daumen im Mund haben würden, was angeblich das größere Übel sei, denn den könne man ja nicht wegnehmen. Doch auch der Daumen interessierte meine Tochter wenig.

Mit ungefähr vier Monaten überkam mich plötzlich der Gedanke, hinsichtlich der Brust etwas weniger wichtig für meine Tochter werden zu wollen, indem ich ihr nachts den Schnuller gebe. Ich trickste sie also aus und drückte ihr den besagten Schnuller in den Mund, als sie schlaftrunken nach meiner Brust suchte. Es funktionierte. Von nun an ging fast nichts mehr ohne ihn. Auch das Bedürfnis nach der Brust ließ nach. Die Abstände wurden größer. Nachts musste ich dafür trotzdem ins Zimmer laufen und ihr den Schnuller in den Mund drücken, damit sie wieder einschlief. Doch was mir anfangs als Entlastung erschien, nervte mich zusehends. Mir wurde klar, dass der Schnuller einzig als Ersatz für die Brust fungierte und daher einen so hohen Stellenwert für meine Tochter erhalten hatte. Je mehr Schnuller, desto weniger Brust. Als sie ungefähr sieben Monate alt war, beschloss ich, dass ich keine Ersatzbefriedigung zulassen wollte und ließ den Schnuller mehr oder weniger von heute auf morgen verschwinden. Und was passierte? Nichts. Sie trauerte ihm keine Sekunde nach. Natürlich wurden die Stilleinheiten wieder länger und regelmäßiger, doch ich wusste, dass mir dies lieber war, als ihr zu vermitteln, ein Grundbedürfnis auf einen Ersatzgegenstand lenken zu müssen.

Heute schaue ich mich um. In jeder Kita, auf jedem Spielplatz sehen wir sie: Kinder mit drei oder vier Jahren, die jede Bewegung mit Schnuller im Mund vollziehen. Sie reden sogar mit Schnuller, weshalb man sie entsprechend schwer versteht oder sie sprechen erst gar nicht viel. Immer wieder sehe ich Mütter, die ihrem Säugling lieber beim kleinsten Ton einen Schnuller in den Mund drücken, als zu ergründen, was dem Baby wirklich fehlt.

Vor ein paar Tagen kam eine Zahnärztin in unsere Kita, um die Kinder ab 2 Jahren zu begutachten. Sie verließ die Erzieher mit der Aussage, zu viele würden noch immer einen Schnuller tragen und würden bereits Verformungen der Zahnstellung aufweisen.

Wie ich berichtete, ließ ich den Schnuller meiner Tochter relativ bald wieder verschwinden. Auf diese Weise lenkte sie ihr Bedürfnis nach Nuckeln und Nähe wieder zum Ursprung, nämlich meiner Brust. Seitdem braucht sie keine Ersatzgegenstände mehr, um sich wohl zu fühlen. Sie braucht weder einen Schnuller, noch den Daumen, noch ein Kuscheltier oder eine Kuscheldecke. Dafür redet sie unglaublich viel, singt und spricht mit 20 Monaten bereits Zwei-Wort-Sätze. Sie hat eine sehr klare und starke Stimme und holt sich Nähe bei mir, wenn sie sie braucht.

Schnuller werden von vielen Müttern als Segen empfunden, beruhigen sie doch so manches Kind und wiegen es in den Schlaf. Doch die Folgen des Schnullergebrauchs sind deutlich weitreichender als Fehlstellungen der Zähne. Mittlerweile geht man sogar schon davon aus, dass der Schnullerkonsum im Säuglingsalter erhebliche Auswirkungen auf das spätere Rauchverhalten hat. Auch beim Rauchen handelt es sich um eine Ersatzbefriedigung eines Bedürfnisses, dessen Ursache die meisten Erwachsenen nach jahrelangem Rauchen nur selten benennen können. Wir trainieren unsere Kinder also, ihr angeborenes Saugbedürfnis auf einen Plastikgegenstand zu projizieren, obwohl eigentlich jede Mutter weiß, dass es das Bedürfnis nach der Mutterbrust ist. Die Natur wird diesen Reflex wohl kaum eingerichtet haben, damit ein Kind an einem Stock oder einem Stein nuckelt, aus dem keine Nahrung fließt. Der Saugreflex ist überlebenswichtig für ein Baby. Er sorgt dafür, dass es bereits in der ersten Minute nach der Geburt Nahrung zu sich nimmt und eine starke Bindung zur ihn schützenden Mutter aufbaut. Noch dazu regt es die Hormonausschüttung im Körper der Mutter an, die so von Glückshormonen erfüllt ist und dem Kind all ihre Liebe zukommen lassen kann.

Und wieder enden wir bei der Frage: Warum verbannt unsere Gesellschaft die weibliche Brust und befürwortet einen Plastikgegenstand im Mund unserer Kinder?

Empfehlenswerter Artikel von Herbert Renz-Polster: Langzeitstillen: Wo ist das Problem?

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