Ein Kind kommt auf die Welt.
Ein unbekannter Ort, kalt, Luft, seltsame Wesen, laute Geräusche.
Im besten Fall kann das Baby sofort in den Arm der Mutter und dort die warme, süße und frische Muttermilch trinken. Sofort lässt der Schreck nach, Ruhe kehrt ein, Vertrauen entsteht zwischen Mutter und Kind.
Die ersten Wochen sind vergangen. Langsam wird das Baby wacher, schläft nicht mehr 10 Stunden am Tag. Doch gleichzeitig schreit das Baby nun auch öfter. Wenn die Mutter es auf eine Decke legt, um schnell auf Toilette zu gehen, quittiert es dies mit lautem Schreien und Strampeln.
Erst ist die Mutter bei jedem Mal noch in heller Aufregung. Langsam aber merkt sie, dass dem Kind nicht ernsthaft etwas fehlt. Es nimmt das Schreien in dieser Situation immer häufiger nicht ernst, denn es ist meist beendet, sobald sie ihr Kind wieder in den Arm nimmt.
Wozu dient das Schreien des Babys? Ist es der Ausdruck von Meckern? Ist es ein Hilfeschrei? Ist es die eigene Unbeholfenheit?
Wenn Hunger und Durst gestillt sind, fühlen sich viele Frauen schnell genervt oder verärgert, wenn das Kind immer noch in seinem Kinderwagen schreit.
Mir kam vor einer Weile die Idee, warum das Schreien trotz gestillter Primärbedürfnisse Sinn macht. Die meisten Mütter legen ihre Babys gern auf Decken, in Stuben- oder Kinderwagen. Das ist natürlich angenehmer, wenn man auch mal etwas erledigen will, statt das Kind von Zimmer zu Zimmer im Arm zu tragen. Doch evolutionär bedeutet „Hinlegen“ für einen Säugling: „Hilfe, ich bin in Gefahr, dass mich jemand vergisst oder spontan ein Löwe vorbeikommt, der mich auffrisst.“ Ein Säugling, der nicht am Körper eines Erwachsenen getragen wurde, war seinem Schicksal ausgeliefert und in großer Gefahr. Sei es nun ein Raubtier, eine Schlange, ein Regenguss oder ein hungriges Gruppenmitglied. Zudem kühlen Babys sehr schnell aus und sind sehr sonnenempfindlich. Wurden sie nicht am Körper getragen, wurden sie oft Opfer von Unterkühlung oder Hitzschlag.
Die Gefahren sind heute weg. Das Schreien ist jedoch aus dieser Zeit geblieben. Es ist das Gefühl von Hilflosigkeit und Unsicherheit. Und großer Angst. Es bezieht sich nicht auf Hunger oder Durst, auch nicht auf den Wunsch nach einem Kuscheltier. Das mag vielleicht irgendwann ein Ersatz für die Körperwärme der Mutter sein, ist jedoch antrainiert. Das Schreien des Babys erinnert uns daran, dass wir das Baby nicht vergessen und dass es eigentlich unseren Körper spüren und unseren Herzschlag hören möchte, um sich sicher zu fühlen. Ein Neandertaler-Baby, das kein Schreien herausbrachte, war zum Tode verurteilt, denn es konnte seinem Wunsch nach Körpernähe oder Milch keinen Ausdruck verleihen.
Nicht umsonst belegen mittlerweile viele Studien, dass getragene Kinder (meist im Tragetuch) deutlich ruhiger und entspannter sind. Sie sind nicht dem inneren Stress ausgesetzt, den Kinder im Kinderwagen erleben. Dort sind sie nicht nur ohne Körpernähe. Nein, meist sehen sie die Mutter nicht einmal. Sie kriegen eine Decke vor das Guckloch gehängt oder können ohnehin nur gegen die Decke des Verdecks schauen.
Kinder gewöhnen sich an alles, wenn sie erstmal gelernt haben, dass Mama da schon irgendwo ist. Aber sie verlieren damit gleichzeitig ihren Instinkt, der sagt, das ist nicht gut. Natürlich ist es Ziel, dem Kind zu zeigen, dass Mama und Papa immer wiederkommen, dass es vertrauen kann und es keiner allein lässt.
Aber würden wir Vertrauen in unsere Umwelt aufbauen, wenn man uns an Bahngleise fesselt und sagt: „Keine Angst, ich komme rechtzeitig wieder.“ Die Bahn rollt an, nähert sich mit großer Geschwindigkeit und plötzlich kommt unsere Bezugsperson aus dem Gebüsch gesprungen und rettet uns. Nach kurzer Verschnaufpause, Adrenalin auf 180, würden wir nicht sagen: „Mensch, jetzt vertraue ich dir aber erst richtig.“ Wir würden die Person anschreien, was sie sich dabei gedacht hat und erstmal nicht mehr mit ihr sprechen.
Auch ein Kind kann sich nicht aus seiner Situation befreien. Es akzeptiert, was die Mutter mit ihm macht. Ohne Vorwurf. Ohne Wertung. Doch seine instinktiven Gefühle bleiben. Es wird zu Beginn seines Lebens in tiefe Verunsicherung gestürzt und kann sich nicht aus seiner Situation befreien. Es würde so gern zur Mutter, doch diese beachtet es gerade überhaupt nicht.
Ich verurteile niemanden, der sein Kind im Kinderwagen umherfährt. Das hat in heutiger Zeit auch Vorteile und jedes Kind lernt, damit umzugehen, und ist sicher nicht für den Rest seines Lebens gestört. Ich denke nur, dass es einiges erschwert. Insbesondere die Beziehung zwischen Mutter und Kind braucht länger, bis sie stabil aufgebaut ist. Der Alltag ist meist mit mehr Schreien und mehr Stress für Mutter und Kind verbunden.
Daher möchte ich mit diesem Artikel jeden Leser dafür sensibilisieren, was ihm das Schreien des Säuglings sagen soll, dass es kein Vorwurf oder bewusstes Ärgern des Erwachsenen ist. Ich würde mich freuen, wenn dieser Artikel alle, die kein Tragetuch verwenden, zum Nachdenken bringt, was für sie oder ihn gegen ein Tragetuch spricht.
Ich finde es immer wieder interessant, andere Meinungen zu hören. Für mich stand der Gebrauch eines Tragetuchs oder Tragegurtes nie in Frage. Ich habe daher bisher nur selten versucht, mich in jemanden mit anderer Meinung zu versetzen. Und doch wird es genügend gute Gründe geben, warum viele Frauen ihr Kind lieber in den Kinderwagen legen.
Ich freue mich auf Kommentare!
Der Artikel kommt gerade rechtzeitig für mich – mit meinem 7 Wochen alten Säugling, der auch sehr gerne getragen wird. Es bestätigt mich darin, diese „Umstände“ auch weiterhin auf mich zu nehmen – trotz großer Schwester, die nebenher „bespielt“ werden möchte. Denn es wäre für mich einfacher, ihn abzulegen, was ich auch öfters unterm Tag mache, wenn er dabei glücklich ist, oder er müde ist (und oft auf meinem Arm zuvor eingeschlafen ist). Jedoch versuche ich ihn öfters am Tag in den Tragegurt zu nehmen, in dem er immer hervorragend schläft und sich gut fühlt. Also ich benütze beides: Tragegurt und Kinderwagen. Je nachdem wie lange er sich im Kinderwagen gut fühlt…oft aber gehe ich auch nur im Tragegurt raus. Ich schaue auch auf mich, wie es mir und meinem Rücken damit geht. Nur Tragegurt wäre zu viel Belastung im Moment für mich.
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Ich habe meinen Sohn sehr viel mit mir herumgetragen in den ersten 3 Monaten. Egal ob zu Hause oder unterwegs, im Manduca oder Tragetuch, oder einfach so auf dem Arm. Den Kinderwagen habe ich erst nach dem 3. Monat mehr und mehr verwendet, weil ich ihn anfangs etwas unpraktisch fand (Treppen, enge Straßenbahnen, man kommt nicht in jedes Geschäft rein, keine Fahrstühle zur Verfügung, Leuten ausweichen)… Eure Secondlife Mama von http://www.Secondlifemama.de
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Dein Beitrag hat mich sehr beeindruckt .ich konnte mich dadurch in die Gefühls Welt eines Baby’s rein versetzen und sehe es jetzt mit ganz anderen Augen …heute wùrde ich mich ohne zu über legen, fùr ein tragetuch entscheiden .das bedeutet fùr ein Baby wie ein “ rund um schutz “ in geborgenheit .
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Unsere Tochter hat sich die ersten drei Lebensmonate garnicht ablegen lassen, Kinderwagen geht bis heute (10 Monate) kaum und sie schläft nur im Familienbett… es ist echt wichtig daß sich die evolutionsbiologische Sicht mal mehr durchsetzt, denn es kann echt schaden, wenn einem (wie bei mir) das ganze Umfeld nur Negatives entgegensetzt, dabei ist ein solches Baby nur besonders ursprünglich (sozusagen) und wir als Eltern haben uns getraut, auf seine Bedürfnisse und unser Bauchgefühl zu hören…
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