Stellt euch vor, ihr habt soeben ein neues Smartphone gekauft. Leuchtend und neu liegt es in eurer Hand und wartet nur darauf, gestartet zu werden. Ihr wollt gerade die Einstellungen einrichten, da kommt eure Mutter, nimmt euch das Handy weg und sagt: „Du kannst das noch nicht. Ich mach das schnell für dich.“ Wenn euch Smartphones nicht so liegen, übertragt die Geschichte auf ein Küchengerät oder ein neues Auto.
Egal welchen Alters: Was fühlt ihr dabei? Warum lässt eure Mutter euch nicht selbstständig agieren? Warum traut sie euch nichts zu?
Ein banales Beispiel, doch bezogen auf ein einjähriges Kind, das gerade laufen gelernt hat, wohl ein großes Ereignis. Es möchte die Welt erkunden, seine Grenzen testen, jedem sich bewegenden Tier folgen oder glitzernden Dingen nachgehen.
Wenn ich entspannt auf einer Bank am Spielplatz sitze, meiner Tochter zusehen, wie sie mit 18 Monaten allein die Rutsche hochklettert, habe ich Zeit, die umstehenden Eltern zu beobachten. Sie rennen non-stop ihren Kindern hinterher. Nicht nur um die ganz Kleinen, auch um die 3- und 4-jährigen wuseln die Eltern ständig herum. Doch konzentrieren wir uns auf die Kleinkinder, die vielleicht seit ein paar Monaten laufen können und entsprechend mutig, eigentlich aber doch noch ziemlich wackelig auf den Beinen sind.
Als meine Tochter das erste Mal Anstalten machte, auf eine dieser kleinen Wippen zu klettern, hob ich sie nicht hoch, sondern zeigte ihr, welche Hand- und Fußgriffe sie machen muss, um die Wippe zu erklimmen. Nach zwei, drei Versuchen hatte sie es drauf. Ganz allein kam sie nun hinauf und entsprechend stolz sah sie mich jedes Mal an.
Indem wir Eltern jeden Schritt des Kindes bewachen, über jede Hürde hinweg helfen, jeden Stein aus dem Weg räumen, nehmen wir unseren Kindern das Gefühl und Erlebnis, etwas eigenständig geschafft zu haben. Wir machen unsere Kinder abhängig von uns, bis sie schließlich rebellieren und auf viel aggressivere Weise ihr Recht auf Eigenständigkeit einfordern, was dann oft überraschend und schmerzhaft für die Mutter ist. Ein Kind, das nicht lernt, dass es auf den Po fällt, wenn es allzu mutig eine Stufe hinaufklettert, wird immer übermütiger, denn Mama oder Papa fangen es ja immer auf. Der Schmerz ist seit jeher ein wichtiger Begleiter unserer Entwicklung, denn er zeigt uns, wo unsere Grenzen sind und was wir lieber lassen sollten. Wir sind darauf ausgerichtet, dieses Erlebnis zu machen und werden so lange weitermachen, bis wir es spüren. Möchten wir also, dass ein Kind erst auf ein Hausdach klettern muss, um zu merken, was es heißt, herunterzufallen? Das ist jetzt natürlich ein wenig übertrieben. Aber man sollte sich des Ausmaßes schon bewusst sein.
Als Mutter verstehe ich meine Rolle darin, meinem Kind in Situationen, in denen es keine Lösung parat hat, Hilfestellung zu geben, wie es das Problem selbst lösen kann. Manchmal genügt eine einzige Bewegung, manchmal ein Wort. Doch für meine Tochter ist es der entscheidende Schlüssel, um ganz allein ein Hindernis zu bewältigen und danach auf die eigene Leistung stolz zu sein. Ich sorge für eine sichere Umgebung, zeige und erkläre ihr die Gefahrzonen und beobachte dann aus der Ferne, um ihr den Freiraum zur Selbstentdeckung zu geben. Auf diese Weise stärke ich ihr Selbstvertrauen und gleichzeitig gebe ich ihr das Gefühl von Sicherheit, denn wann immer etwas passiert, bin ich zur Stelle. Der Unterschied besteht darin, dass ich sie nicht belagere und auch nicht ständig beschäftige, sondern sie selbst kreativ werden lasse. So entwickelt sich ihr Wunsch nach Selbstständigkeit mit ihren Fähigkeiten und ich brauche keine übermütigen Trotzreaktionen befürchten, die ihre Fähigkeiten übersteigen.
Du sprichst mir aus dem Herzen! Genauso sehe ich es auch: Lass die Kleinen einfach mal machen! Sie können mehr als wir denken und ihnen zutrauen. Auf den Spielplätzen ist das besonders gut zu beobachten, wenn die Mütter aufgeregt am Klettergerüst stehen und die Kinder festhalten und ständig „Pass auf, das ist ganz schön hoch“ rufen. Und wenn man mal gelassen daneben steht und nur ein „Super, ganz alleine gemacht“ zu seinem Kind sagt, kommen gleich diese Blicke, die einem „Rabenmutter, wie kannst du nur dein Kind vernachlässigen“ zurufen…Dazu passt auch mein Beitrag http://ganznormalemama.wordpress.com/2013/10/02/nun-gib-ihm-doch-die-schaufel-zuruck/ über Mütter, die sich ständig in die Streitereien ihrer Kleinen einmischen und meinen, der beste Anwalt ihres Kindes sein zu müssen. Wie soll da ein Kind lernen, seinen eigenen Mann/Frau zu stehen?!
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Manchmal war das für mich als Mutter ein ganz schöner Nervenkitzel, den ich aushalten musste, als mein Sohn mit 2 Jahren z.B. anfing das höchste Klettergerüst zu erklimmen.
Ich habe dann immer versucht ruhig zu bleiben und völlig cool zu wirken, was mir auch immer gelang.
Hab mich dann unten drunter gestellt und einfach abgesichert, falls mein Sohn doch runterfallen sollte.
Das kennen wir ja aus dem Sportunterricht, beim Bockspringen oder am Stufenbarren standen der Sportlehrer und ein Schüler daneben, welche im Falle eines Falles den Sturz zumindest etwas abfangen konnten. Mein Sohn ist nie abgestürtz.
Ich habe meinen Sohn nie von seinen Klettertouren abgehalten oder ihn festgehalten, ohne dass er danach gefragt hat.
Seine Kletterkünste sind mittlerweile so gut, er ist jetzt 3. Und ich bin auch innerlich gelassener geworden wenn er klettert. 🙂
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Das ist toll! Ich kann absolut nachvollziehen, dass das Herz am Anfang dennoch rast. Liebe Grüße und frohe Weihnachten!
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