„Ich achte deinen Vater in dir“

Welchen Hintergrund hat es, wenn Kinder zum Zentrum der Aufmerksamkeit der Eltern oder eines Elternteils werden?
In einigen Familien wird dem Sohn jeder Wunsch von den Lippen gelesen, während der Vater einsam am Rand steht und wenig Beachtung erhält.

Wenn ein Kind ins Leben eines Paares tritt, konzentrieren sich einige Frauen gern ausschließlich auf das Kind und widmen sich ihrem Partner immer weniger. Das Kind erhält eine überhöhte Position gegenüber den Eltern, insbesondere gegenüber dem Vater. Meist reagieren die Männer mit Rückzug und arbeiten immer mehr, sodass sie zusätzlich auch noch selten zu Hause sind. So wächst die Enttäuschung der Frau, ihr Mann würde sie ohnehin mit der Erziehung allein lassen.
Brenzlich wird diese Situation, wenn kaum mehr Austausch und Kommunikation zwischen den Eltern stattfinden und stattdessen die Wut auf den anderen indirekt oder direkt am Kind ausgelassen wird.
Einem Jungen, dem indirekt von der Mutter mitgeteilt wird, wie blöd sie das Verhalten des Vaters findet, wird in die ausweglose Situation gebracht, sich auf Mutters oder Vaters Seite stellen zu müssen. Meist fällt die Wahl auf die geliebte Mutter. Der Sohn spürt die Verachtung des Vaters im Ausdruck der Mutter und übernimmt diese Gefühle. Gleichzeitig ist ihm unbewusst klar, dass auch der männliche Teil in ihm von der Mutter abgelehnt wird. Oberflächlich tut er alles, um ein besserer Mann zu sein als sein Vater, doch unbewusst weiß er, dass er dies nie erreichen kann. So wird er insgeheim zornig auf die Mutter.

Gerhard Amendt, Soziologe und Sexualwissenschaftler, erläutert die Bedeutung des Vaters und die Auswirkung der Missachtung:

Die Autorität des Vaters schafft Kindern erst jene Freiheit, die ihnen den Weg ins außerfamiliäre Leben möglich macht. Kinder brauchen einen Vater zum Streiten, zum gefühlvollen Abgrenzen, eben zum Erwachsenwerden. Je heftiger die Kritik des Feminismus an der modernen Männlichkeit wird, desto wichtiger werden die kleinen Männer, die Söhne also, für die Mütter. Sie werden zur Quelle lebenslanger Sinnstiftung.
Da die großen Männer die Sehnsüchte der Frauen nicht erfüllen, wollen die Mütter ihre Söhne zu idealen Männern modellieren, zu Märchenprinzen.

Wächst ein Junge mit diesen Botschaften auf, hat er meist zwei mögliche Verhaltensweisen in seinem späteren Leben. Entweder er rebelliert irgendwann gegen die Mutter und verhält sich letztlich wie der Vater. Oder er versucht weiterhin, das verachtete Verhalten zu umgehen, hat jedoch durch den unterdrückten Zorn auf Frauen Schwierigkeiten, eine gute, erfüllende Beziehung zu führen.

Um das Kind aus den Konflikten zwischen den Eltern herauszuhalten, ist es wichtig, dass beide im Kind auch den Partner achten können. In systemischen Aufstellungen zeigt sich, dass die Achtung des anderen Geschlechts nicht nur eine Frage des Willens ist. Teilweise ist es eine innere Einstellung, die schon von den eigenen Eltern bzw. einem Elternteil übernommen wurde und somit tief im Unterbewussten verankert ist. Sie verbindet Mutter oder Vater mit dem Elternteil, das ebenfalls diese verachtende Einstellung hatte und wirkt sich daher sehr kraftvoll und mächtig auf das eigene Verhalten aus. Diese innere Einstellung zu ändern oder aufzulösen, erfordert daher eine grundlegende Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Leben und der Familie. Als Hilfestellung dient folgender Satz zum Kind: „Wenn du so wirst wie dein/e Vater/Mutter, stimme ich zu.“ Sowie eine weitere wichtige Aussage: „Ich achte deine/n Vater/Mutter in dir.“
Spürt das Kind diese innere Einstellung der Eltern, kann es sich entspannen. Es muss nicht mehr anders oder besser werden als die Eltern. Es muss sich nicht zwischen den zwei für ihn wichtigsten Personen entscheiden. Es darf sein wie seine Eltern.

Die freiwillige Entstehung eines Kindes ist ein Zeichen einer einmal bestandenen Liebe, auch wenn diese später vorbei ist. Erinnert man sich dessen, fällt die Achtung des anderen im Kind leichter.

Weiterführender Artikel: Vater und Kind.

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4 Gedanken zu „„Ich achte deinen Vater in dir“

  1. Also ich weiß ja nicht… generell stimme ich dem größten Teil des Beitrages zu. Aber dass ein Kind „immer“ ein Zeichen einer einmal bestandenen Liebe sein soll, das halte ich für ein Gerücht. Es ist lediglich ein Beweis dafür, dass zwei Menschen miteinander Sex hatten. Nicht, dass sie einander geliebt haben.

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    • Bei diesem Satz habe ich auch eine Weile überlegt, denn es gibt natürlich auch schlimme Fälle, in denen ein Kind ohne Einwilligung der Frau entsteht zum Beispiel. Darauf bezieht sich der Satz tatsächlich nicht.
      Warum ich mich doch entschied, den Satz zu schreiben, war, da mit jeder Hingabe zweier Menschen zumindest so viele Gefühle da sind, dass sie nicht angeekelt weglaufen. Und gleichzeitig verbindet die körperliche Hingabe selbst die Menschen. Egal ob es ein One-Night-Stand war oder in der Ehe passierte. Es verbindet die Menschen auf einer tieferen Ebene. Ich nenne das auch Liebe, denn es ist eine tiefe seelische Verbindung. Man muss sich dabei nur vom herkömmlichen Bild der „Liebe“ lösen. Ich verstehe darunter nicht die rosa-rota Brille und das oberflächliche Sagen „Ich liebe dich.“ Das passiert alles auf einer anderen Ebene.

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      • Auf erzwungenen Sex wollte ich ebenfalls nicht hinaus. Aber ich glaube, was das Thema „Liebe“ angeht denke ich zu sehr auf der biochemischen Ebene, als dass ich das gegenseitige Verlangen [denn nichts anderes passiert, wenn zwei Menschen Sex haben] in irgendeiner Hinsicht als „mehr als den biologischen Imperativ“ bezeichnen könnte.

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  2. Ich möchte noch einmal auf das Titelthema „ich achte Deinen Vater in Dir“ zurückkommen.

    Aus meiner Sicht ist es entscheidend für ein Kind, dass die Eltern sich gegenseitig im Kind achten. Das Kind spürt die Disharmonien zwischen Erwachsenen unmittelbar. Daher hat es auch solche gravierenden Folgen, wenn sich subtil ablehnen – auch spürt ein Kind spürt sofort.
    Um sich das bewusst zu machen, kann man sich einmal das andere Extrem vor Augen führen – was im Fall einer Trennung zum Beispiel passieren kann, nämlich daß Eltern sich gar nicht (mehr) achten.
    Dazu hier ein Ausschnitt aus dem empfehlenswerten Gabriele Ten Hövels Buch „Liebe Mama, böser Papa“:

    http://www.amazon.de/Liebe-b%C3%B6ser-Eltern-Kind-Entfremdung-Trennung-Scheidung/dp/3466306280/ref=sr_1_5?ie=UTF8&qid=1385712975&sr=8-5&keywords=das+pas+syndrom

    „Vor den Kindern wird der Partner beschimpft, für unfähig, verwirrt oder verrückt erklärt, Väter werden des sexuellen Missbrauchs verdächtig, der Umgang mit dem nun getrennt lebenden Partner wird boykottiert. Die Kinder werden direkt oder indirekt mit allen Mitteln extrem beeinflusst. Aber auch der entfremdende Elternteil lehnt den Kontakt zum anderen ab, ebenso zu dessen Verwandtschaft und Freunden. Gabriele ten Hövel erklärt genau was mit PAS gemeint ist, wie PAS sich äußert und welche Auswirkungen es hat. Hierzu erzählt sie die Geschichten von Männern und Frauen, die ihre Kinder auf diese Weise beinahe oder tatsächlich verloren hätten. Diese Mütter und Väter wurden von ihren Kindern plötzlich ignoriert, beschimpft, getreten und bedroht. Für diese Elternteile gibt sie hilfreiche Tipps, wie sie mit ihren entfremdeten Kindern umgehen sollten.“

    Ich möchte mit dieser Kontrastierung die Bedeutung dieses Themas noch einmal unterstreichen. Denn wieviele Menschen sind heute schon genau dieser weitverbreiteten Tragödie – für Kinder und Familien – in irgendeiner Form begegnet?

    Liebe Grüße L.

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