„Das macht man nicht!“

Einer der schlimmsten Sätze, die Eltern sagen können. Keine Sorge, ich sage ihn leider auch hin und wieder, wenn ich in Erklärungsnot bin. „Das macht man nicht.“ oder auch gerne „Liebe Kinder tun das nicht.“ oder „Das ist böse.“ Was soll ein Kind von zwei Jahren damit anfangen? Es versteht den Satz nicht. Es merkt nur, ah, Mama will das nicht. Meist reagiert es durchaus darauf, aber letztlich ist es eine inhaltslose Floskel der Erwachsenen. Auch beliebt ist das Wort „Bitte“, wenn wir eigentlich eine sofortige Handlung vom Kind erwarten.

Was steckt eigentlich dahinter?

Als Mutter und Vater sind wir ständig in der Situation, dem Kind Grenzen zu setzen oder ein bestimmtes Verhalten einzufordern. Als Erwachsene, meist schon in unserer Kindheit, haben wir gelernt, Forderungen höflich auszudrücken. Deshalb sagen wir oft „Bitte“, wenn wir etwas vom anderen wollen. Leider benutzen wir das Wort „Bitte“ aber auch, wenn wir tatsächlich um etwas bitten. Die Antwort des anderen kann dann ja oder nein lauten. Fügen wir unserer Forderung gegenüber einem Kind also das Wort „Bitte“ bei, kann das Kind nicht unterscheiden, ob es sich nun um eine eindeutige Forderung handelt oder um eine Bitte, die auch mit nein beantwortet werden darf. Kinder, die sich dann im Alter der Selbstentdeckung und Trotzphase befinden, nutzen diese Unklarheit, um das Nein und die Reaktion der Eltern darauf zu testen. Das ist manchmal lustig, im Ernstfall aber nicht erwünscht.

Die Verwendung der Begriffe böse, schlecht, gut, lieb, brav, ungezogen… sowie die Formulierung mit „man“ sind ebenso ein Mechanismus, der uns meist schon in unserer eigenen Kindheit antrainiert wurde.

Manuel J. Smith formuliert es folgendermaßen in seinem Buch „Sage nein ohne Skrupel“:

Der Gebrauch der Begriffe ‚gut‘ und ’schlecht‘ ist eine wirksame Methode zur Verhaltenskontrolle, aber es ist eine manipulative, versteckte Kontrolle und keine ehrliche Interaktion.

In all diesen Fällen fordern wir Eltern ein eindeutiges Verhalten des Kindes. Mal aus Zeitmangel, mal aus Sicherheitsgründen oder was auch immer uns dazu bewegt. Doch wir sind es gewohnt, diese Forderungen durch Floskeln zu kaschieren. Wir verstecken uns hinter Bitten und Werten. Unter Erwachsenen kennt und versteht man diese Formulierungen. „Könntest Du bitte das Fenster schließen?“ Ist das eine Bitte? Oder „Mir ist kalt“ – Der Mann steht auf und schließt das Fenster. Es ist so normal für uns, Forderungen nicht klar auszudrücken, dass wir uns fast schämen, unserem Kind nicht ebenso höflich gegenüberzutreten.

Was lernt das Kind dadurch?

  • Forderungen sind „böse“!
  • Wenn du etwas möchtest, dann drücke es möglichst unklar aus, damit sich keiner auf den Schlips getreten fühlt.
  • Durch eine Forderung kannst du andere verletzen.
  • Deine Bedürfnisse solltest du lieber unklar formulieren.

Der ehrliche Umgang mit einer Forderung ist, sie klar auszudrücken. Beispielsweise mit der Formulierung: „Ich möchte, dass du … tust.“ So zeigen die Eltern ihre natürliche Autorität und drücken ihrem Kind ohne Zweifel aus, was sie von ihm wollen. Es gibt keine Auslegungsschwierigkeiten und keine Unklarheiten für das Kind.

Darf denn eine Mutter oder ein Vater überhaupt fordern? Und dies schlimmstenfalls durch körperliche Überlegenheit durchsetzen? Das Kind einfach auf den Arm nehmen, wenn es partout nicht mitkommen will? Das sind doch Verhaltensweisen längst überholter Zeiten!?

Auch heute noch ist die Welt ein undurchsichtiger Dschungel für Kinder. Sie können die Gefahren nicht einschätzen. Das Kind braucht daher die Großen, um für Sicherheit und auch für das Überleben zu sorgen, indem sie das Kind in die Welt einweisen. Vater und Mutter müssen deshalb fordern und in der Lage sein, ihre Forderungen auch durchzusetzen. Die Welt ist kein eingezäunter Spielplatz. Die Sorge der Eltern verlangt es, immer wieder eindeutige Forderungen an das Kind zu stellen.

Dabei spielt auch wieder das Gefühl der Eltern des „sich groß Fühlens“ eine Rolle. Rudolf Dreikurs fällt auf:

Eltern, die sich aufregen, weil ihr Kind nicht ‚das tut, was ich sage‘, stellen wahrscheinlich unvernünftige Forderungen und versuchen nur, das Kind zu ‚beherrschen‘. Dies führt gewöhnlich zu einem Machtkampf.

Eltern, die sich groß fühlen, nutzen ihre Größe zum Wohl des Kindes und seinem Alter angemessen. Unter dieser Voraussetzung hat der Erwachsene in sich selbst genug Klarheit, wenn eine Forderung notwendig ist, dass er diese auch selbstsicher und stets in Beziehung zum Kind durchsetzen kann. Das Kind spürt dann sofort, wenn Mama und Papa etwas ernst meinen. Ebenso ist es für das Kind ein Gefühl der Erleichterung und Sicherheit, dass eine Forderung keine Willkür, sondern etwas Wichtiges ist. So haben Mutter und Vater die Stärke zu führen und ihre Kinder können ihnen vertrauen und folgen.

Weiterführender Artikel: Wie viel nein ist sinnvoll? und Grenzen setzen sowie die im Text hinterlegten Links.

3 Gedanken zu „„Das macht man nicht!“

  1. Mir fällt es auch oft schwer, mein Kind nicht zu bitten, wenn ich etwas möchte. In meiner Zeit in London habe ich mir das „bitte“ für alles so antrainiert, dass es mir jetzt sehr schwer fällt, dies gegenüber meinem Kind wegzulassen, wenn ich es bei Erwachsenen immer hernehme, weil es höflicher und netter klingt. Wie du oben geschrieben hat, man schämt sich fast, wenn man eine Forderung ans Kind stellt. Ich lerne gerade wieder „ich möchte, dass…“ zu sagen, was auch von meinem Kind akzeptiert wird und wie du auch sagst, nicht so oft in „nein-Reaktionen“ ausartet.

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    • „Bitte“ ist ja auch nicht grundsätzlich falsch oder verwerflich. Man muss sich nur der Bedeutung und der möglichen Unklarheiten bewusst sein. Dann hat man wieder die Möglichkeit, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob man es verwenden will oder es nicht angebracht ist. (So viel zum Thema „man“ nebenbei ;))

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      • Genau wegen der möglichen Unklarheiten erinnere ich mich jetzt öfters daran „ich möchte/will, dass…“ zu sagen, wenn ich eben kein „nein, will ich nicht machen“ vom Kind hören möchte 🙂

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